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Durchbruchstörung wegen frühzeitigem Milchzahnverlust: Wenn der neue Zahn nicht durchpasst

Es gibt Szenarien, in denen geht ein Milchzahn früher „verloren“ als er eigentlich soll. Damit lässt er leider häufig einem sehr wanderfreudigen Kollegen freie Bahn: Der 1. bleibende Backenzahn wandert nach vorne und versperrt dem eigentlichen Milchzahn-Nachfolger den Platz für ein korrektes Wachstum nach oben. Das kommt leider immer wieder vor, zum Beispiel durch einen Unfall oder auch eine ausgeprägte Karies, die den Zahn stark angegriffen hat. Zahndurchbruchstörungen können auch auf eine zukünftige Störung der Gebissentwicklung hinweisen.

Die entscheidende Entwicklungsphase des Kindes für den Kiefer-Check

Um die Problematik zu verstehen, lohnt sich ein Einblick in die Entwicklungssituation eines etwa 6-jährigen Kindes. Denn ziemlich pünktlich in diesem Alter bricht der 1. dauerhaft bleibende Backenzahn durch, der sogenannte Sechsjahrmolar. Der Begriff „Molar“ kommt aus dem Lateinischen, heißt „Mühlstein“ und beschreibt die Hauptaufgabe aller Backenzähne: Das Mahlen von Nahrungsmitteln und Speisen, die der Mensch zu sich nimmt. Dieser Zahn steht bei unserem Thema hier in besonderem Fokus.

Warum eigentlich? Und was ist bis zum 6. Lebensjahr im Mund überhaupt genau passiert? Kinder bekommen im Babyalter etwa zwischen 6 und 9 Monaten zunächst einmal die 4 Frontzähne oben und unten. Ihnen folgen dann etwa im Laufe der ersten 24. Lebensmonate 3 weitere Milchzähne pro Quadrant. Das heißt, es brechen nach und nach pro Kieferviertel links und rechts, oben wie auch unten, jeweils ein Eckzahn und zwei weitere Milchbackenzähne durch.

Mit etwa sechs Lebensjahren kommt ein ganz neuer Zahn ins Spiel: der bereits erwähnte Sechsjahrmolar. Er ist der erste Backenzahn, der bleibend sein wird. Er tritt hinter den 3 Eck- und Backenzähnen des Milchgebisses durch, sowohl im Oberkiefer als auch im Unterkiefer. Diese 3 Milchzähne haben eine wichtige Aufgabe: Sie bilden durch ihre Position vor dem Molar eine Stützzone, denn sie halten diesen Backenzahn vom Wandern ab.

Der große Zahnwechsel beginnt im 7. Lebensjahr mit den Schneidezähnen im Unterkiefer. Dieser Prozess wird begleitet oder gefolgt von den Sechsjahrmolaren, oben und unten. Die bleibenden Oberkieferfrontzähne kommen dann in etwa bis zum 8. Geburtstag. Dann tut sich gute eineinhalb Jahre in der Regel erst einmal nichts, was den Wechsel vom Milchzahngebiss zu den bleibenden Zähnen angeht.

Die Ursache für Durchbruchsstörungen bei zu frühem Verlust der Milchzähne

„Wir alle tragen in uns, dass die Zähne von hinten nach vorne wandern wollen. Die 3 noch vorhandenen Milchzähne halten auf jeder Kieferseite oben und unten eigentlich ganz wichtigen Platz frei. Sie sorgen für den Raum, den die nachkommenden, bleibenden Zähne brauchen.“, so Dr. Josef Sterz, Leiter unserer Abteilung für Kieferorthopädie.

Ist ein Milchzahn aus bestimmten Gründen früher nicht mehr da, als von der Natur eigentlich eingeplant, ist es möglich, dass der erste Molar nach vorne rückt. Dadurch wird die Lücke zu klein, die für denjenigen Zahn vorgesehen ist, der an der Stelle des Milchzahns eigentlich nachkommen soll. Der Zahndurchbruch wird so entscheidend behindert. Besonders kritisch wird‘s, wenn der Milchzahn verloren geht, der sich direkt vor dem Sechsjahrmolar befindet.

Kieferorthopädische Therapie von Zahndurchbruchstörungen

Verschwindet tatsächlich der wichtigste Teamplayer innerhalb der Stützzone in diesem Kieferbereich, kann der Backenzahn ungehindert seinem Wanderdrang nach vorne nachgehen. „In diesem Fall ist in den meisten Fällen ein Lückenhalter notwendig,“ so Dr. Sterz. „Denn der Backenzahn möchte sich vehement nach vorne bewegen.“

Dieser Lückenhalter ist ein kleines kieferorthopädisches Tool mit sehr großer Wirkung. Dabei handelt es sich um eine kleine Miniaturzahnspange. Sie hält die Zahnlücke groß genug, damit der nachfolgende Zahn ungehindert in seine korrekte Position wachsen kann, wenn er dann soweit ist. Sie wird auf die vorhandene Lücke angepasst und nur nachts getragen, ist also ein sehr unauffälliges Hilfsmittel.

Je weiter vorne ein Zahn verloren geht, desto leichter kann der Kieferorthopäde zunächst ohne Lückenhalter feststellen, ob sich der Abstand zwischen den Zähnen verändert. Denn der Sechsjahrmolar kann sich in der Regel mit seinen Kräften nicht ganz so intensiv nach vorne bewegen, wenn sein unmittelbarer Nachbarmilchzahn noch da ist und stattdessen einer der beiden Milchzähne weiter vorne abhandengekommen ist. Im Abstand von 4-8 Wochen misst Dr. Sterz in dem Fall die Größe der Lücke, die durch den Zahnverlust entstanden ist. Wird der Abstand hier nicht kleiner, ist gegebenenfalls kein Lückenhalter notwendig.

Für die kieferorthopädische Behandlung lohnt es sich, besonders nachhaltig zu denken: Hält man die Zahnlücke rechtzeitig ausreichend offen und groß genug, ist unter Umständen sogar gar keine weitere kieferorthopädische Therapie notwendig. Die hätte der frühzeitige Milchzahnverlust sonst mit sich gezogen.

Was passiert, wenn der Zahn nicht genug Platz zum Nachrücken hat?

Es ist fast ein bisschen wie im Krimi, nur eben in einem ziemlich zahnlastigen. Wenn der Backenzahn tatsächlich ungehindert nach vorne wandert und der Platz nicht ausreicht, bricht der nachrückende Zahn möglicherweise gar nicht alleine durch. Oder er bricht seitwärts oder quer nach innen durch und bahnt sich seinen Weg, wie es die vorhandene Knochenstruktur so irgendwie erlaubt. Das hat unter Umständen sogar negative Auswirkungen auf die Entwicklung des gesamten Gebisses.

Eine solche Durchbruchstörung erfordert dann entsprechende Maßnahmen in der kieferorthopädischen Behandlung. Der Molar muss nach hinten geschoben werden, damit der Nachfolger-Zahn durchbrechen kann. „Bei einer Durchbruchsstörung, die ein zu früh verlorener Milchzahn verursacht hat, empfiehlt sich oft schon die Frühbehandlung“, so Dr. Sterz. Damit sich der wanderwillige Backenzahn zurück an seinen Platz bewegt, bekommen die jungen betroffenen Patienten und Patientinnen eine Zahnspange. Sie wird nachts und gegebenfalls vorübergehend auch nachmittags getragen bis der Platz für den neuen Zahn generiert werden konnte. Sie verschiebt den Zahn langsam wieder zurück. Gleichzeitig hält sie die nach und nach wieder wachsende Lücke offen, die für den nachrückenden Zahn ja eigentlich auch vorgesehen war.

Mit dieser Frühbehandlung lassen sich eventuell notwendige Nachfolgebehandlungen vermeiden oder abschwächen. Sie fiele sonst im geeigneten Alter im Rahmen einer Hauptbehandlung an. Das ist vielen Kids im Jugendalter die liebere Variante. Im Lichte dessen lohnt sich der kleine Lückenhalter, den man schon nach dem Verlust des Zahns eingesetzt hat – und damit auch der frühzeitige Besuch beim Kieferorthopäden.